Kempten, den 20.Nov.15

Sehr verehrter Herr Geistl. Rat
Binder!

Infolge Zuwendung des sehr
schönen Paketes ersehe ich, daß ich
doch noch immer in gutem Geden-
ken bei Ihnen bin. Besonders die
Cigarrl sind ganz passend, da ich sie
noch in der Patr[one]ntaschen mitführen
kann und solch eiserner Bestand noch
immer ein gutes Zeichen ist, das der
Feind nicht zu fürchten ist.( Besonders
wenn eines noch in der Patr[one]ntaschen
tragen kann.) Auch die Bienen haben

heuer wie ich sehe, wieder für die
Soldaten gearbeitet. Hoffentlich
haben Sie auch mit der Schweinezucht
Glück, nachdem das Schweinerne
ziemlich rar wird. In Kempten
kostet das £ 1.60M Hatte diese Woche
3 Tage Urlaub, aber was ist das bei
der weiten Reise. Jetzt hieß es in-
nerhalb 14 Tagen schon 3 mal wir müssen
ins Feld, doch jedesmal wurde der
Transport wieder aufgeschoben, was
auch noch immer die Hauptsache ist.
Friedensostern können wir ja
doch noch nicht feiern, da soviel
mir scheint alle Nationen sich
finanziell und wirtschaftlich ver-
bluten müssen, einige wenige

dagegen ungeheure Summen aufspeichern
können. Was wird der unselige Krieg noch
alles bringen, gut ist nur daß man nicht
in die Zukunft sieht. Bei mir daheim
geht alles gut, wenn's auch im Viehstall
etwas hapert, so war doch die Getreide-
ernte ausgezeichnet. Im übrigen
fühle ich mich in Kempten ganz wohl,
wenns gleich daheim schöner wäre, doch
muß man um solche Verhältnisse noch
immer froh sein, da uns im Feld noch
schlimmeres erwartet. Kempten ist über-
füllt mit Militär. 800 Mann unge-
dienter Landsturm könnten jeden
Tag ins Feld abgeschubt werden. Im
ganzen sollen bei 4500 Mann hier sein.
Wir haben ziemliche Kälte auch

etwas Schnee. Der Dienst ist wohl streng
aber langweilig, da jeden Tag der gleiche
Schwindel aufs duznt kommt, Schießen
gibt es nicht viel ( es heißt immer Mun-
itionssparen), ich hab z. B. seit August
3 Schuß abgegeben. Immer Paradedrix.
Von Familie Tanner weiß ich gegenwärtig
nichts, war schon längere Zeit
nicht mehr dort. Hoffentlich geht's
in Ihrem Betrieb gut, mit Personal
wird's natürlich immer mehr Schwierig-
keiten haben. Hab auch vom hohen Besuch
gelesen, den Sie gehabt haben, wird wohl
befriedigt gewesen sein. Also nochmals
herzlich Vergelts Gott nebst herzlichem
Gruß, Ihr ergebener. E. Schauer

Beste Grüße an Frl. Anna u. die beiden
Herren, auch Mägde.